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Motorcycle Cities – Hamburg Pt. 1

Motorcycle Cities – Hamburg Pt. 1

Urbane Motorradkultur

Motorcycle Cities möchte Motorradkultur in die Städte bringen. Welche Harmonie gibt es zwischen einer Stadt und ihren Bewohnern mit motorisierten Zweirädern? Wer sind die Menschen, die sie fahren? Wie verbringen sie ihre Tage? Lies weiter, um das herauszufinden…
Willkommen in Hamburg

Hamburg, eine Industrie- und Handelsstadt an der Elbmündung mit 1,8 Millionen Einwohnern. Sie ist die zweitgrößte Stadt in Deutschland und der wichtigste Hafen des Landes. Die Hansestadt ist mein Ziel an einem Novembertag auf meiner ’89er Ducati 750 Sport. Als sie am Horizont auftaucht ist unser erster Kontakt ein besonderer Moment. Was werde ich sehen? Werde ich meine Wegmarkierungen finden, damit ich mich nicht verfahre?

Mein Motorrad hat kein Navi und die auf den Tank geklebten Zettel erweisen sich als weniger hilfreich als erwartet. In mir machen sich Besorgnis und Neugierde breit. Der erste Eindruck ist das, was im Gedächtnis bleibt, er ist unersetzlich. Am Ende stelle ich fest: Hamburg wird immer mit einem schönen Gefühl verbunden sein. Es ist schwer zu erklären, und es gibt einige Klischees oder Ideologien zu überwinden. Hier ist ein kleiner Einblick…

Ankunft

Ich komme mit Volldampf über die Autobahn 7 an. HH-Zentrum ist meine Richtung, die Dinge sind klar und vor allem effizient. Für den Moment gibt es keinen Grund, das Tempo zu drosseln, auch deshalb, um nicht wie ein Tourist auszusehen. Was die Atmosphäre angeht, hätte ich mir nicht mehr wünschen können: Die Sonne geht gerade unter und am Horizont zeigt sich keine einzige Wolke, so dass sich ein blauer und oranger Schleier über den geschäftigen Hafen zu meiner Linken legt. Die Nieten und Schrauben des Stahlrahmens der Brücke, die ich gerade überquere, ziehen meine Aufmerksamkeit auf sich. Das ist es: Ich betrete eine echte Industriestadt, so wie ich sie mag.

Ein erster Porsche überholt mich rechts. Ich hatte doch tatsächlich mein Tempo gedrosselt, gebe also wieder Gas. Etwas weiter rechts dominiert eine alte rote Backsteinfabrik die Gegend. Und natürlich ist, als wäre es geplant, ein riesiges Castrol-Schild auf das Dach dieses Gebäudes geschraubt. Ich fühle mich in meinem Element: nichts ist glatt, alles ist roh, alles ist echt. Später erfahre ich, dass die Fabrik mit dem Castrol-Schild heute eine Firma beherbergt, die medizinische Produkte und Geräte herstellt (Hans Hepp GmbH & Co. KG), darunter auch Erste-Hilfe-Kästen für Motorradfahrer.

Eine doppelte Mission

Nach diesem spektakulären Auftakt wird es Zeit, den Porsche einzuholen, den ich versehentlich an mir vorbeifahren ließ. Aaah, ich sehe mehrere von ihnen, alle schnurren. Ich glaube, ich werde mich hier amüsieren. Für meine Reise nach Hamburg ist nichts geplant oder programmiert und ich habe das Gefühl, dass dies die genau richtige Annäherung ist an die Stadt und an die Menschen, die in ihr leben. Trotzdem habe ich zwei Träume: die berühmten Guzzis von ‚Kaffeemaschine’ mit eigenen Augen zu sehen und die unglaubliche Geschichte (oder eher Geschichten und Anekdoten) von Uwe Ehinger zu hören.

Als ich etwas Zeit zur Verfügung habe nutze ich diese und rufe Axel Budde an, den Gründer von ‚Kaffeemaschine’. Ich frage ihn, ob ich vorbeikommen kann, aber ich spüre ein Zögern: Er möchte nicht bei der Arbeit gestört werden. Zeit ist kostbar und die Neugierigen sind zahlreich. Aber nachdem ich mein Anliegen erklärt habe, willigt er ein, mich zu empfangen, aber ganz schnell. Gut, dass das mein Spezialgebiet ist.

Kaffeemaschine

Südlich der Hamburger Innenstadt liegt das überwiegend von Hafen, Industrie und Arbeiterwohnungen geprägte Wilhelmsburg. Das Besondere an diesem Stadtteil ist, dass seine 50.000 Einwohner alle auf einer Insel leben, die durch den nördlichen und südlichen Elbarm gebildet wird. Die Garage von ‚Kaffeemaschine’ liegt versteckt in einer Seitenstraße. Axel Budde kam vor rund fünfzehn Jahren nach Hamburg. Wilhelmsburg war für ihn der ideale Kompromiss zwischen der Anbindung ans Umland und ans Stadtzentrum. Außerdem ist es verkehrsgünstig, ruhig und weniger von aktuellen Trends beeinflusst.

Höchste Zeit für einen Besuch, denn ich kenne schon seit einiger Zeit die Umbauten von ‚Kaffeemaschine’ ohne wirklich zu wissen, wer dahinter steckt. Eine Person? Ein Kollektiv? Eine Werkstatt, in der alles selbst gemacht wird? Ein Netzwerk von Handwerkern und Partnern? Ein Schuppen oder eine außergewöhnliche Werkstatt? Auf jeden Fall ist die Entscheidung, Hamburg zu entdecken, stark mit meinem Wunsch verbunden, die Kaffeemaschinen in natura zu sehen; die Arbeit von Axel Budde, der den Laden seit fast fünf Jahren betreibt.

Voller Ehrfurcht

Axel ist überrascht, dass ich praktisch aus dem Nichts auf einem Motorrad auftauche. Er begrüßt mich mit einem Kaffee aus einer alten, authentischen und schönen Kaffeemaschine, das Pulver mahlt er selbst. Ich tauche sofort in seine Welt ein und habe das Gefühl, dass das Eis gebrochen ist, obwohl zwischen seiner Begrüßung und seinem Kaffee meine Augen und meine Konzentration auf die Motorräder gelenkt werden. Es ist unmöglich, ein Gespräch zu führen – ich verschütte tatsächlich meinen Kaffee auf dem Garagenboden, kein Witz. Seine Guzzis sind einfach großartig und die Reise hat sich schon jetzt gelohnt. Ich reiße mich zusammen und konzentriere mich auf sein neuestes Werk, die KM15, eine prächtige 1000 SP, die in Schwarz und Grün gekleidet einen maximalen Effekt erzielt. Sie wird das neue KM-Logo tragen, dessen grafische Identität wurde gerade überarbeitet.

Während ich diese grafische Veränderung bespreche, notiere ich mir einige seiner Gedanken zur Frage seines Berufs und des Customizings im Allgemeinen. Wie wird sich Guzzi als Motorradhersteller weiterentwickeln? Dazu hat er einige Ideen. Wie wird sich die Motorrad- und Custom-Welt verändern? Das sei schwieriger vorherzusagen, aber er scheint nicht unter vorübergehenden Trends zu leiden. Vielmehr hat sich Alex eine großartige Kundschaft aufgebaut, die reif, loyal und in der Lage ist, in etwas zu investieren, das für sie eine Form von Authentizität und eine Erinnerung an die Jugend darstellt. Seine Klientel ist hauptsächlich zwischen 40 und 50 Jahre alt, gut situiert, aus Deutschland und dem benachbarten Ausland. Auf die eine oder andere Weise gelingt es ihm, die Neugierigen fernzuhalten, die seine ach so kostbare Zeit zu verschwenden drohen. Er will sich auf das Wesentliche seiner Arbeit konzentrieren.

“Eine abgespeckte, minimalistische Ästhetik mit hohem Wiedererkennungswert ist sein Markenzeichen, eine persönliche, aber fortschrittliche Interpretation des Café Racers.”

Stück für Stück

Ich liebe den Stil von Alex und schätze sein Handwerk. Eine abgespeckte, minimalistische Ästhetik mit hohem Wiedererkennungswert ist sein Markenzeichen, eine persönliche, aber fortschrittliche Interpretation des Café Racers. Die Basis bilden hauptsächlich Moto Guzzi Le Mans 3 und 4. Tatsächlich scheinen sie wie geschaffen für diese Art der Transformation. Meiner Meinung nach hat Axel Budde auf dem Gebiet der Guzzi-Umbauten keine Konkurrenz und es gibt nur wenige, die Minimalismus, Detailtreue und Expertise so kombinieren können wie er.

Die Motorräder werden langsam, sorgfältig, Stück für Stück aufgebaut. Der Stil oder besser gesagt die Handschrift ist sofort erkennbar und doch sind sie alle sehr unterschiedlich im Detail, sei es in der Karosserie, in der Lackierung oder beim Zubehör. Jedes neue Werk ist für Axel eine Ausrede, um seine technischen und ästhetischen Grenzen zu verschieben, seine Forschung und Entwicklung voranzutreiben.

Die Geschichte der Zukunft

Währenddessen kreuzen unsere Gespräche zwischen der Geschichte Hamburgs und der Industrie, seinen Umbauten und dem Leben eines Handwerkers sowie der Schwierigkeit, sein Leben als Künstler, Handwerker und Geschäftsmann in Einklang zu bringen. Er spricht mit mir über seine anderen Maschinen, Drehbänke und Fräsmaschinen, die er als Werkzeuge für seine Kreationen verwendet und die hauptsächlich aus deutscher Produktion stammen.

Auch die Gießerei, die einige seiner Werkzeuge und Maschinen herstellt, hat ihren Ursprung in Hamburg. Heidenreich & Harbeck stellte den Stahl her, aus dem die ‚Cap San Diego’ besteht ist. Dieses majestätische Frachtschiff ist 159 Meter lang und liegt heute fest vertäut an der Hamburger Überseebrücke. Dort dient es als Hotel und als Museum, genau genommen ist es das größte Museumsfrachtschiff der Welt. Ein schönes Kapitel von lokaler Geschichte und Know-how taucht vor unseren Augen auf und er darf jeden Tag drin lesen.

Axel weist mich zum Abschied noch auf einige weitere Orte für Petrolheads in Hamburg hin, dann mache ich mich wieder auf den Weg.

Text & Fotos von

Jonathan Wieme

Der Mann hinter Motorcycle Cities. Das ist ein unabhängiges Printmagazin, über das wir bei einem Samstagnachmittagsspaziergang in Antwerpen gestolpert sind.

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